Eva Weyl ist eine der letzten Zeitzeuginnen des Holocaust, und auch mit 88 Jahren wird sie nicht müde, »Zweitzeugen« zu finden – junge Leute, die ihre Geschichte weitertragen.
Eva Weyl, Zeitzeugin:
»Ich will, dass ihr wisst, was geschehen ist!«
Eva ist sechs Jahre alt, als die Nazis sie 1942 mit ihren Eltern einsperren – im Lager Westerbork in den besetzten Niederlanden. In das Land war die jüdische Familie zuvor aus dem Rheinland emigriert. Mit dem Ring an ihrem Finger verknüpft Eva Weyl eine besondere Erinnerung an diese Zeit.
Eva Weyl, Zeitzeugin:
»Als meine Eltern wussten, dass wir weg mussten ins Lager, dann haben sie bei der Bank im Schließfach ihre Diamanten herausgeholt. Und meine Mutter – und ich wusste nichts – hat davon neue Knöpfe genäht. Sie hat so Diamanten genommen und Klebezeugs drumrum getan. Und dann zum Schluss Stoff für mein Mäntelchen. Ich stand dort in der Reihe, wo man also registriert wird. Außerdem wurde den Leuten noch das letzte Geld abgenommen. Die SS stand dort und die Nazis, die SS, die hat gesagt: Was haben sie noch für Geld? Was haben sie? Uhren, goldene Uhren. Und ich stand dort, war sechseinhalb und wusste nicht, dass ich in meinen Knöpfen ein kleines Vermögen trug. Wir haben überlebt. Die Knöpfe haben überlebt. Man kann es so sehen, dass man doch die Nazis betrogen hat, dass man, außer dass man Wertsachen gerettet hat, hat man eine Geschichte gerettet. Eine Geschichte vom Überleben.«
Filmaufnahmen aus dem Lager Westerbork – von hier aus deportieren die Nazis rund 107.000 niederländische Juden und Sinti und Roma in Vernichtungslager wie Auschwitz, darunter Anne Frank. Nur etwa 5.000 überleben.
Westerbork ist eine Art Vorzeigelager: Eva und die anderen Kinder gehen in die Schule, es gibt sogar ein Krankenhaus. Der vom Lagerkommandanten in Auftrag gegebene PR-Film zeigt eine trügerische Scheinwelt - neben der Zwangsarbeit gibt es Sport und ein Unterhaltungsprogramm. Alles soll möglichst normal erscheinen, die Gefangenen sollen nicht ahnen, was ihnen im Osten bevorsteht.
Eva Weyl, Zeitzeugin:
»Es gibt ein Tagebuch von einem Juden in Westerbork, und er schreibt: ›Warum gibt man sich hier so viel Mühe? Doch nicht, um uns 2000 Kilometer östlich zu ermorden. Das sind Gräuelmärchen. Das ist falsche Propaganda.‹ Und die meisten glaubten das. Mein Vater wollte zum Schluss freiwillig mit Mutter und mir nach dem Osten. Sein bester Freund hat ihn davon abgehalten, hat gesagt: ›Du darfst nicht gehen. Wir wissen nicht, ob es nicht stimmt.’«
Mehrmals stehen die Weyls auf den Deportationslisten, durch Zufall entgehen sie den Transporten in letzter Minute. Im April 1945 befreien kanadische Soldaten die Gefangenen in Westerbork.
Eva Weyl, Zeitzeugin:
»Es ist unglaublich, wie viel Glück wir hatten und ich mein ganzes Leben.«
Nach dem Krieg arbeitet Weyl in der Modebranche. Heute lebt sie in Amsterdam, hat zwei Kinder und fünf Enkelkinder. In einer Wanderausstellung ist sie derzeit eine von acht sogenannten »Kulturretterinnen« – es geht um jüdische Musik, die vor dem Vergessen bewahrt wird, oder um Comics, die die Familiengeschichte erzählen. Und um Eva Weyls unwissentlich gerettete Diamanten.
Ljiljana Heise, Kuratorin »Kulturretterinnen«:
»Frau Weyl erzählt ja nicht nur die Geschichte des Rings, sie erzählt dann ja auch die Geschichte der Verfolgung und macht auf eine sehr nahe und bewegende Art deutlich, wozu Rassismus und Ausgrenzung führen, wozu auch die Zerstörung von kultureller Vielfalt führt. Und das macht sie für mich zu einer echten Kulturretterin, die eben die Geschichte gerettet hat und Erinnerung gerettet hat und ihre Erzählung ja auch weiterträgt.«
Eva Weyl, Zeitzeugin:
»Es gingen jede Woche zwei bis dreimal Züge mit 1.200 Juden Richtung Osten.«
»Zweitzeugen« finden, die Geschichte am Leben erhalten – dafür spricht Eva Weyl bis zu 70 Mal im Jahr mit Schulklassen in ganz Deutschland, auch im Rahmen der Ausstellung.
Emma Schwarz, Kaiserin-Theophanu-Schule Köln:
»Man hört es im Geschichtsunterricht oder so aber man kann es nicht wirklich komplett nachvollziehen, sich das vorstellen. Ich finde, dass solche Veranstaltungen extremst informativ sind, um einem das einfach noch mal näher zu bringen.«
Philip Brüggemeier, Kaiserin-Theophanu-Schule Köln:
»Die Chance besteht nicht mehr lange, weil, wie sie ja auch selbst gesagt hat, es gibt nicht mehr viele, die noch leben und deswegen hat mich das auf jeden Fall auch gefreut, sie heute zu sehen und ihr zuzuhören.«
Emma Breidenassel, Kaiserin-Theophanu-Schule Köln:
»Am Ende ist es gar nicht so lange her und vor allem für unsere Generation ist es wichtig zu verstehen, dass das immer noch so real ist und dass so was immer wieder passieren kann, wenn man nichts dagegen tut.«
Die Reaktionen der Jugendlichen motivieren Eva Weyl, auch in ihrem hohen Alter von Verfolgung, Internierung und Rettung zu erzählen. Ihren Diamantring will sie der Gedenkstätte Westerbork vermachen, als Symbol des Überlebens.
Eva Weyl, Zeitzeugin:
»Vergesst es nicht…«